Weihnachten mit Luise

 


Luise liebte Weihnachten.
Wenn auch auf ganz andere Art und Weise als das heutzutage üblich war. Es gab keinen Weihnachtsbaum bei ihr, nur einen Adventkranz. Allerdings musste der eher schmucklos sein, denn was sie daran mochte, war der Reisigduft und der Kerzenschein. Den allgemein üblichen Dekorationswahn fand sie abstoßend.

Doch sie mochte den Gedanken an ein Fest der Liebe und konnte in der Geschichte von Jesus Geburt viel Sinn erkennen.

Am meisten liebte sie aber, dass es für sie wirklich ein Familienfest war.
Sie verbrachte den Hl. Abend immer bei einem ihrer Brüder und den Christtag beim anderen. Im Folgejahr wurde gewechselt.

Am Stefanitag besuchte sie dann ihr einzige noch lebende Tante, eine Schwester ihrer Mutter, die bei ihrer Tochter in Jois lebte und mit der sie sich gern in Erinnerungen über die Großmutter erging, wo sie aber auch mit den Enkelkindern der Cousine spielen konnte.

Heuer war sie am Weihnachtsabend bei Albert gewesen und machte sich nun zum mittäglichen Ganslessen bei Nepomuk und seiner Familie auf.
Obwohl ihr Bruder nur zwei Gassen von ihr entfernt wohnte, nahm sie das Auto, weil sie die zahlreichen Pakete sonst nicht transportieren hätte können.
Wochenlang hatte sie gestrickt. Alle Jahre wieder.
Im Herbst sammelte sie von ihren Lieben die Wunschfarben für Pullover, Westen, Umhänge, Hauben oder Schals ein. Und dann ging es los.
Luise war nicht sicher, wer damit eigentlich beschenkt wurde. Denn die größte Freude hatte wohl sie beim Stricken. Aber die Familie wartete auch schon immer darauf. Es war keineswegs so, dass ihre Machwerke in irgendwelchen Kastentiefen verschwanden. Sogar die Frauen ihrer Neffen, also junge moderne Geschöpfe, gaben beizeiten ihre Wunschzettel ab.

Luises Neffe Nepomuk – denn natürlich war der älteste Sohn ihres Bruders wieder mit diesem Namen gestraft worden – kam lachend bei der Tür heraus gelaufen, um ihr beim Hineintragen zu helfen.
»Tantchen Strickluisl«, neckte er sie und küsste sie herzhaft auf beide Wangen.
»Wird das Christkind wohl meinen Wunsch auf einen Norwegerpullover erhört haben?«
»Hast du deinen Brief denn brav aufs Fenster gelegt? Ich meinen mit dem Würfelzucker schon«, antwortete sie grinsend.
»Aber damit lockst du den Storch an und nicht das Christkind«, belehrte sie der Neffe.
»Genau das will ich doch!«
»Du möchtest ein Baby, Tante Luise? Sind wir, deine Neffen, dir denn nicht mehr genug?« Nepomuk verzog das Gesicht, als würde er weinen wollen.
»Ja, ich will endlich ein Baby. Und wenn schon der Storch schwerhörig ist, dann könntest doch du für ihn einspringen!«
»Oooh, Tantchen! Ist das ein unmoralisches Angebot?« Er klapperte mit den Augendeckeln.

»Tante Luise möchte ein Baby von mir«, informierte er die Familie, die sich im Vorraum zu Luises Begrüßung versammelt hatte.
Sein Vater warf in gespielten Entsetzen die Arme in die Höhe.
»Oh Gott, wem habe ich meine Kinder anvertraut!«

»Tante Luise«, quengelte Sebastian, ihr anderer Neffe. »Wieso willst du von ihm eins und nicht von mir? War ich nicht immer der Brave und habe dir alle Wünsche erfüllt?«
»Schleimer!«, ätzte sein älterer Bruder.
»Was seid ihr doch für eine unheilige Familie«, mischte sich Susi, die Frau von Nepomuk junior, ein. »Wo bin ich da nur hineingeraten!«

Sebastians Frau Laura warf ihrem Mann lediglich einen schelmischen Blick zu.
Luise öffnete den Mund und schloss ihn gleich wieder. Ihr Bauch sendete Ahnungen. Aber wenn sie stimmten, dann würde sie es sich wohl nie verzeihen können, wenn sie den jungen Leuten den Spaß verdorben hätte.

Zur Feier des Tages war im Wohnzimmer gedeckt. Selbstverständlich spielte sich auch in diesem Haushalt üblicherweise ansonsten alles eher am Küchentisch ab.

weihnachtsbaum
In einer Ecke war ein riesiger Christbaum aufgestellt. Wenn Luise auch selber keinen hatte, so mochte sie die Bäume ihrer Brüder immer sehr. Sie machte auch nur deshalb bei sich zu Hause keinen, weil sie am Hl. Abend nie daheim war. Und nach den Feiertagen brauchte sie dann keinen mehr. Weihnachten war für sie zu Weihnachten und wenn sie bei der Familie war. Nicht vorher oder nachher und eigentlich auch nicht allein.

Lächelnd ging sie näher und suchte, wie jedes Jahr, den alten Christbaumschmuck, den Nepomuk aus den elterlichen Beständen übernommen hatte. Es waren schlichte Stücke aus buntem Glas, manche schon beschädigt, aber sie bildeten glitzernde Brücken zu ihrer Kinderseele.

Die Pimpernell-Kinder hatten keine leichte Kindheit gehabt, aber eine glückliche. Und die Geschwister hatten ihr gutes Verhältnis zueinander in ihr Erwachsenenleben mitnehmen können. Heute wusste Luise, dass dies keine Selbstverständlichkeit war. Ihr Beruf brachte sie immer nahe an familiäre Abgründe und deckte schonungslos trügerisch glanzvolle Fassaden auf, hinter denen es oft ganz anders aussah.

Die Geschwister mussten oft im Weinbaubetrieb mitarbeiten, schon, als sie noch ganz klein waren. Der Vater war streng gewesen, doch konnte die Mutter immer erklären, worum es dabei ging. Die Kinder durften fragen und diskutieren. Auch wenn das meistens an der Meinung des Vaters nicht rütteln konnte. Sie fühlten sich nie ohnmächtig, sondern intuitiv dazu aufgefordert, Perspektiven und Stellungnahmen zu erarbeiten oder zu schärfen. Vielleicht war es das?

Genau, die Intuition. Nicht nur Luises Ermittlerinnen-Bauch schien damit gesegnet. Auch ihre Familie zeigte immer wieder Reaktionen, die nicht näher erläutert werden mussten, und sich dennoch im Nachhinein als richtig herausstellten.

Muck, wie der junge Nepomuk genannt wurde (und wenn sie ihn ärgern wollten, nannten sie den armen Kerl sogar Mucki), häufte Luises Pakete unter dem Baum auf. Dabei grinste er zu ihr hoch.

»Einen schicken Hut hast du auf, Tantchen. Den kenn ich gar nicht.«
»Das ist mein neuer Weihnachtshut, mit eingebautem Heiligenschein«, beschied sie ihm.
Es handelte sich um eine gehäkelte tannengrüne Beanie, die an einem gelben Streifen der rundherum lief, seitlich zwei Applikationen in Sternenform aufwies.
Weiters trug sie eine ärmellose türkise Weste mit goldenen Knöpfen in der Größe von Zwei-Euro-Stücken (dem Christkind zu Ehren richtig zugeknöpft!) über einer hellrosa Bluse mit einem gerüschten Plastron, aus dem unerschöpflichen Fundus ihrer Achtziger-Garderobe. Der knöchellange Strickrock changierte in dunklen Orangetönen.

Ihre Schwägerin Helga kam mit einer großen Suppenterrine herein und bat die Familie, die Plätze am Tisch einzunehmen.
Die Tradition bescherte ihnen als erstes eingemachte Ganslsuppe mit flaumig leichten Bröselknöderln.
 
weihnachtsgans
Und dann wurden die Gänse aufgefahren. Denn Helga briet lieber zwei kleinere als eine große. Erstens weil die Familie aus begnadeten Essern bestand und mit einer noch so großen Gans sicher nicht ihr Auslangen finden würde und zweitens, weil diese weniger fett waren und nicht so lang ausgebraten werden mussten, was leicht zur Austrocknung des Fleisches führen konnte, trotz des hohen Fettanteils.

Als Beilagen wurden Erdäpfelknödel gereicht, in Rotwein gedünstetes Rotkraut und der Pimpernell-Spezialkrautsalat, der aus am Vortag eingebeiztem Weißkraut angemacht und mit gebrutzeltem Selchspeck abgebrannt wurde.
Dazu wurde Blaufränkischer aus eigenem Anbau getrunken. Eine Spezialität, im Seewinkel gab es nicht viel Ausbau davon.

Nach dem Essen übernahmen die Schwiegertöchter und Luise das Abräumen des Tisches und Aufräumen der Küche. Auch das war alljährlicher Brauch.
Im Anschluss daran fanden sich alle am Couchtisch neben dem Christbaum ein. Es wurde Kaffee getrunken und die Platte mit Luises Krapferln erfuhr raschen Schwund. Obwohl zuerst alle gestöhnt hatten, sie brächten keinen Bissen mehr hinunter.

Nepomuk senior spielte Weihnachtsengel und verteilte die Geschenke.
Die Stricksachen fanden erwartungsgemäß großen Anklang und für Luise hatte die Familie ein besonderes Schmankerl bereit: Das legendäre Carnegie-Hall-Konzert aus 1938 von Benny Goodman in einem so gut wie neu aussehenden antiquarischen Schallplattenalbum.

»Wir haben noch ein Geschenk. Für euch alle.« Sebastian und Laura hatten sich grinsend Hand in Hand vor den Christbaum gestellt.
Ah! Also doch …
»Im Juni wird Tante Luise endlich ihr Baby bekommen!«, eröffneten die junge Leute.
»Sagte ichs doch: Schleimer!«, rief Muck und stürzte auf den Bruder zu, um ihn zu umarmen.

Im allgemeinen Glückwunschtumult stiegen vor Luise Pimpernells Augen Berge von winzigen Strick- und Häkelsachen auf und versüßten ihr den Weihnachtstag noch zusätzlich auf ganz persönliche Weise.

 

babysachen
 

Diese kleine Geschichte ist noch nicht veröffentlicht, sondern eine Vorschau auf den 2. Luise-Fall,
der voraussichtlich im Frühsommer 2018 herauskommen wird
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grinspimpi

 

 

Und für alle, die nicht so lang lesen mögen:

 

video weihnachtslesung

 

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